Urs Aeschbachzr, Erich Huber und Beat Seiler
Das Standarderklärungs-muster
In Broschüren und Prospekten von Photovoltaikpromotoren
und -anbietern haben wir folgendes Erklärungsmuster der Solarzelle
so häufig angetroffen, dass wir es das «Standardmuster»
nennen (vg. auch Bild 1).
Zunächst wird erläutert, wie in einem
Siliziumkristall durch gezieltes Einbringen zweier verschiedener Arten
von Fremdatomen eine «n-leitende» Schicht auf der einen und
eine «p-leitende» Schicht auf der anderen Seite geschaffen
wird, was an der Grenzlinie, am so genannten p-n-Übergang, eine Diffusion
von Ladungsträgern und damit die Entstehung eines elektrischen Feldes
nach sich zieht. Sodann kommt die im wörtlichen Sinn entscheidende
Wirkung dieses inneren Feldes im Zusammenhang mit der Sonneneinwirkung
zur Sprache. Es trennt nämlich die unter Lichteinwirkung im Kristall
immer paarweise entstehenden positiven und negativen Ladungen voneinander.
Ladungspaare entstehen überall da, wo ein Lichtquant im Kristall ein
Elektron herausschlägt: Das freigesetzte Elektron ist negativ, die
von ihm verlassene Fehlstelle bzw. das «Loch» positiv geladen.
Bevor diese beiden sich gegenseitig anziehenden Ladungsträger wieder
«rekombinieren», werden sie nun eben vom inneren Feld getrennt,
sodass sich auf der einen Seite negative (Elektronen) und auf der anderen
Seite positive Ladungsträger (Löcher) ansammeln. Damit entsteht
eine Spannung, die an den beiden Aussenseiten der Solarzelle abgegriffen
werden kann.
Für Laien kaum verständlich
Verschiedene nach diesem Standardmuster «gestrickte»
Texte mit den dazugehöngen Schemata haben wir Gruppen von Studierenden
und MittelschülerInnen vorgelegt. Bild 2 zeigt die vernichtende
Reaktion von vierundzwanzig zukünftigen Gymnasiallehrpersonen verschiedener
Fächer: Nach dreiminütiger Auseinandersetzung mit dem in Bild
1 wiedergegebenen Beispiel verwarfen sie die Aussage «Der Text (einschliesslich
Abbildung) eignet sich gut, um Nichtfachleuten kiar zu machen, wie die
Solarzelle funktioniert» äusserst massiv. Der Verriss fiel bei
den Studierenden sogar schirfer aus als bei 75 MittelschülerInnen
im Alter von 14 bis 20 Jahren. Hatten die Studenten weniger verstanden?
Wohl kaum. Vermutlich waren sie aufgrund ihres grösseren Vertrauens
in die eigene Lernfähigkeit einfach eher in der Lage, ihren Lernfrust
in Ärger und Kritik umzuwandeln.
Bild 2 Vernichtendes Urteil Von 24 Lehramtstudierenden
Uber die in Bild 1 wiedergegebene Erklärung. Nach der Lektüre
nahmen sie auf einer von «ganz sicher ja» (links) bis «ganz
sicher nein» (rechts) reichenden sechsstufigen Skala Stellung zum
Satz: «Dieser Lehrtext samt Abbildung eignet sich gut, um die Solarzelle
zu erklären.»
Studierende und MittelschülerInnen markierten und kommentierten für uns in verschiedenen derartigen Solarzellen-Erklärungen auch genauer die Stellen, wo sie beim lernenden Lesen irritiert oder gar blockiert wurden. Dabei traten zwei Arten von Schwierigkeiten zutage. Die eine betraf Fachausdrücke wie «p-» und «n-leitend», «p/n-Übergang», «Dotieren» usw. Dem allermeisten fehlte das fachliche Vorwissen, um damit etwas anfangen zu können. Die zweite grosse Schwierigkeit betraf die sich als positive Ladungsträger bewegenden Löcher. Hier handelte es sich um einen Konflikt mit dem nichtfachuchen Vorwissen, dass Löcher sozusagen ihrem Wesen nach ortsstabil sind. Die Rede von Löchern, die sich durch einen Kristall bewegen, erscheint daher unsinnig und erschwert es, sich eine anschauliche Vorstellung von den Abläufen zu machen. Damit würgt sie eine zentrale Strategie des aktiven verstehen wollenden Lernens ab [1].
Missverständlich
Die Standarderklärung legt die Vorstellung
nahe, dass im Inneren der Solarzelle zwei verschiedenartige Ströme
entspringen und zu entgegengesetzten Rändern fliessen, nämlich
ein Elektronenstrom zum einen und ein «Löcherstrom» zum
anderen Rand. Und wenn die Elktronen ihre Bewegung in den äusseren
Leiter hinein fortsetzen, warum solten das die unverstandenen Löcher
auf der anderen Seite nicht auch tun? Diese falsche Vorstellung muss umso
plausibler erscheinen, als sie zu einer unter Laien verbreiteten Fehlauffassung
des elektrischen Gleichstromes passt (Bild 3). Danach fliessen immer
in beiden Verbindungsdrähten elektrische Ladungen bzw. Ladungsträger
von der Stromquelle zum Verbraucher, nämlich negative im einen und
positive im anderen, um im Verbraucher zusammenzutreffen und dabei eben
irgendwie verbraucht zu werden. (Diese Fehlkonzeption ist so häufig,
dass sie in der Physikfachdidaktik einen eigenen Namen bekommen hat: «clashing
currents» [2].
Bild 3 Die von der Standarderklärung geförderte
Fehlauffassung, wonach in beiden Leitungsdrähten alle Ladungsträger
ausschliesslich von der Solarzelle zum Verbraucher fliessen.
Tatsächlich stellten wir im Lernexperiment fest, dass die Standarderklärung aus Bild 1 die Fehlauffassung fördent. Auf einer von «ganz klar ja» bis «ganz klar nein» reichenden Beunteilungsskala nahmen MittelschülerInnen und Studierende einmal vor und einmal nach der Lektüre Stellung zu folgendem Satz: «Wird eine Solarzeile als Stromquelle mit einem Verbraucher verbunden, so fliessen alle Ladungsträger in beiden verbindenden Leitungsdrähten in Richtung Verbraucher.» Die Reaktionen verschoben sich durch die Lektüre markant in Richtung des sachlich falschen Ja-Pols [3].
Es geht auch anschaulicher
Ginge es denn nicht ohne die so irritierenden, anschauungsfeindlichen
und irreführenden wandernden Löcher? Es ginge. Zum Beispiel ungefähr
so:
Durch die Energie des Sonnenlichts werden in
der Solarzelle laufend Elektronen aus ihren Plätzen in den Atomen
herausgeschlagen. Dank der dabei vom Licht übernommenen Energie sind
diese Elektronen nun innerhalb der Zelle frei beweglich, unterliegen aber
der Anziehung durch die von ihnen «verlassenen» und dadurch
positiv geladenen Atome. Der «Witz» der Solarzelle ist nun,
dass man ein direktes Zurückfallen der Elektronen verhindert, sodass
sie gewissermassen nur «aussen herum», nämlich nach einem
Umweg durch ausseren Leiter und Verbraucher hindurch auf vakante Plätze
in den Atomen zurückkehren können. Dieser Umweg wird durch ein
elektrisches Feld erzwungen, welches Elektronenbewegungen nur in einer
Richtung zulässt. (Dieses Feld hat der Solarzellenhersteller durch
eine gezielte Verunreinigung mit Fremdatomen in den Siliziumkristall «eingebaut»).
Unterwegs geben die Elektronen ihren Energieüberschuss ab, indem dieser
zum Beispiel in einer Glühlampe in Licht umgewandelt wird. Beim Wiedereintritt
auf der anderen Seite der Solarzelle erliegen die Elektronen der Anziehung
derjenigen Atome, die ein Elektronendefizit, oder wie man auch sagt ein
«Loch», aufweisen, und hangeln sich dann gewissermassen von
Loch zu Loch in ihr Herkunftsgebiet zurück, wo das grösste Elektronendefizit
herrscht. Dort wird das eindringende Sonnenlicht sie irgendwann wieder
auf ein höheres Energieniveau heben, freisetzen und auf einen neuen
Kreislauf schicken.
Durch die Energie cies Sonnenlichts werden in der
Solarzelle laufend Elektronen aus ihren Plätzen in den Atomen herausgeschlagen.
Dank der dabei vom Licht übernommenen Energie sind diese Elektronen
nun innerhalb der Zelle frei beweglich, unterliegen aber der Anziehung
durch die von ihnen «Verlassenen» und dadurch positiv geladenen
Atome.
Die «Löcherwanderung» ist in dieser Version keine Wanderung der Löcher, sondern anschaulicher eine Wanderung der Elektronen von Loch zu Loch. Das ist fachlich völlig in Ordnung. In der Tat ist die ominöse Bewegung der Löcher ja nichts anderes als die gegenläufige Bewegung der Elektronen im so genannten Valenzband, ein Leitungsmechanismus in Halbleitern, bei dem Elektronen auf einem tiefen Energieniveau leicht an Atome gebunden sind und sich deshalb nur sprunghaft von Atom zu Atom bewegen können. Davon ist die freie Bewegung der Elektronen auf dem energiehöheren «Leitungsband» zu unterscheiden, auf welches sie durch Einwirkung eines passenden Lichtquants gehoben werden. Wenn man in dieser Weise nicht zwei Arten von beweglichen Ladungsträgern (Elektronen und «Löcher»), sondern nur Elektronenbewegungen auf zwei verschiedenen Energieniveaus unterscheidet, lässt sich die ganze Rundreise der Elektronen durch Solarzelle und äusseren Stromkreis laienfreundlich als eine Art Geschichte «erzählen». Dieses Modell ist sogar besser mit eiektrischen Phänomenen des Stromikreises kompatibel, indem es die Arbeitsleistung des Stroms, d.h. den Energieverlust der Elektronen im Verbraucher mit beschreiben kann. Hier käme das Standardmodell, das eigentlich nur die Entstehung einer Ausgangsspannung an der Solarzelle plausibel machen will, in Schwierigkeiten.
Leitplanken für eine laienfreunduche Erklärung
Zusammenfassend drei Empfehlungen dazu, wie man
die Solarzelle erklären sollte, um Laien relativ rasch zu einem gewissen
«Aha»-Erlebnis bezüglich des Funktionsprinzips der Solarzelle
zu führen:
• Nur die Elektronen (und nicht auch die Elektronenfehlstellen) als
bewegliche Ladungsträger ins Auge fassen, dafür aber den Blick
auf deren ganze Rundreise entlang des Stromkreises ausweiten.
• Das innere elektrische Feld als «zuvor in die Solarzelle eingebaut»
voraussetzen. Dessen Hersteilung ist eine eigene Geschichte. Diese im gleichen
Durchgang mitzuerzählen, führt zu Verwirrung - wie in vielen
Abbildungen in Standarderklärungen, wo Elektronen sich sowohl auf
der p-Seite (durch Diffusion) als auch auf der n-Seite (durch Feldwirkung)
anhäufen.
• Kein (Fach-) Chinesisch, kein CrashKurs in Physik und Elektrotechnik.
Bezüglich der Mitvermittlung fachlicher Begrifflichkeit
gut hier: Weniger ist mehr! In der Tat führte in einem unserer Lernexperimente
(vgl. Aeschbacher, Huber und Stöcklin) eine in diesem Sinne fachlich
bescheidene Erklärung nicht nur zu eineim objektiv und subjektiv besseren
Verständnis der Solarzelle, sondern ausserdem zu einer Korrektur des
falschen Strombegriffs.
Literatur
[1] Aeschbacher U., Huber E., Seiler B.: Vor wandernden
Löchern wird gewarnt: Die Solarzelle laienfreundlich erklären..
Praxis der Naturwissenschaften/ Physik in der Schule, 2002,1/51, S.40-45.
[2] Duit R., Treagust D.F.: Learning in Science - From
Behaviorism Towards Social Constructivism and Beyond. In B.J. Fraser &
K.G.Tobin (eds.): International Handbook of Science Education, Dordrecht:
Kluwer Acad. Publ., 1998, S.3-25.
[3] Aeschbacher U., Huber E., Stöcklin M.: Verliert
die Solarzelle ihre Elektronen? Wenn Lehrtext und Illustration Lernende
in einer Fehlkonzeption bestärken. (Publikation in Vorbereitung)