SOLAR CLUB CERN

III/ Wie zum Kuckuck funktioniert die Solarzelle?
Zusammenfassung:
Kundenfreundlichkeit hat auch mit allmeinversändlchem Erklären der angebotenen Technik zu tun. Aber solche so genannte technische Kommunikation ist oft schwierig. Ein interdisziplinäres Team hat ein verbreitetes Erklärungsmuster für die photovoltaische Solarzelle unter die Lupe genommen. Ausgehend von festgestellten Lernschwierigkeiten und -fehlern von Laien werden verbesserungsvorschläge entwickelt.
Comment fonctionne une cellule solaire?
résumé seulement:
Un service propre à donner satisfaction au client sous-entend aussi des explications à la portée de tous concernant la technique proposée. Cette communication technique est souvent difficile. Une équipe interdisciplinaire a analysé une notice explicative très répandue pour la cellule solaire photovoltaïque. Vu les difficultés et les malentendus des non-spécialistes, des améliorations sont proposées.

Urs Aeschbachzr, Erich Huber und Beat Seiler

Das Standarderklärungs-muster
    In Broschüren und Prospekten von Photovoltaikpromotoren und -anbietern haben wir folgendes Erklärungsmuster der Solarzelle so häufig angetroffen, dass wir es das «Standardmuster» nennen (vg. auch Bild 1).
    Zunächst wird erläutert, wie in einem Siliziumkristall durch gezieltes Einbringen zweier verschiedener Arten von Fremdatomen eine «n-leitende» Schicht auf der einen und eine «p-leitende» Schicht auf der anderen Seite geschaffen wird, was an der Grenzlinie, am so genannten p-n-Übergang, eine Diffusion von Ladungsträgern und damit die Entstehung eines elektrischen Feldes nach sich zieht. Sodann kommt die im wörtlichen Sinn entscheidende Wirkung dieses inneren Feldes im Zusammenhang mit der Sonneneinwirkung zur Sprache. Es trennt nämlich die unter Lichteinwirkung im Kristall immer paarweise entstehenden positiven und negativen Ladungen voneinander. Ladungspaare entstehen überall da, wo ein Lichtquant im Kristall ein Elektron herausschlägt: Das freigesetzte Elektron ist negativ, die von ihm verlassene Fehlstelle bzw. das «Loch» positiv geladen. Bevor diese beiden sich gegenseitig anziehenden Ladungsträger wieder «rekombinieren», werden sie nun eben vom inneren Feld getrennt, sodass sich auf der einen Seite negative (Elektronen) und auf der anderen Seite positive Ladungsträger (Löcher) ansammeln. Damit entsteht eine Spannung, die an den beiden Aussenseiten der Solarzelle abgegriffen werden kann.
 

Wie die Solarzelle funktionert
Die Wirkungsweise Von Solarzellen beruht auf dem photovoltaischen Effekt. Man spricht deshalb auch von photovoltaischen Zellen. Diese ermöglithen die direkte Umwandlung von Sonnenenergie in elektrischen Strom. Solarzellen bestehen aus HaIbleitermateria~ien wie zum Beispiel Sjljzium. Haibleiter sind Stoffe, die unter Zufuhr von Ljtht oder Wärme elektrisch Ieitfahig werden, während sie bei tiefen Temperaturen isoljerend wjrken. Zur Herstellung einer Solarzelle wird das Haibleitermaterial «dotiert». Damit ist das gezielte einbringen von chemischen Elementen gemeint, mit denen man entweder einen positiven Ladungsüberschuss (p-Ieitende Schicht> oder einen negativen Ladun9süberschuss (n-leitende Schicht) im Haibleitermaterial erzielen kann. Werden zwei unterschiedlich dotiette Halbleiterschichten gebildet, entsteht an der Grenzschicht ein so genannter p-n-Ubergang. An diesem Ubergang baut sich ein inneres elektrisches FeId auf, das zu einer Trennung der bei Lichtejnfall freigesetzten negativen und positiven Ladungsträ'ger fühtt. Stossen Lichtteilchen in der Nähe des Oberganges auf Atome des Kristallgitters, werden dort n~mIichpaarweise frei bewegliche Elektronen und Löcher erzeugt (sogenannter innerer photovoltaischerEftekt).Unter Einwirkung des inneren elektrischen Feldes wandern die Elektronen zur n-Zone, die Löcher in die p-Zone. So «stauen sich» gewissermassen am einen Rand der Solarzelle (im Schema oben) negative und arn anderen Rand (im Schema unten) positive Ladungstrager. Dadurch entsteht eine Spannung, die aussen über Metallkontakte abgegriffen werden kann. Die elektrische Gleichspannung wird durch die an der Unterseite und an der Oberseite der Solarzelle angebrachten Metallkontakte nach aussen gefühtt. Wird nun via diese Kontakte aussen ein Verbraucher (z.B. ein elektrischer Apparat) an die Solarzelle angeschlossen, fliesst Strom.
Bild 1 Eine Standarderklärung des Solarzellenprinzips. Alle Sätze (mit Ausnahme des sinngemässergänzten viertletzten) sowie die Abbildung stammen aus Texten desselben Musters, die wir in Broschüren und Prospekten bekannter photovoltaik-Promotoren und -Anbjeter fanden.

Für Laien kaum verständlich
    Verschiedene nach diesem Standardmuster «gestrickte» Texte mit den dazugehöngen Schemata haben wir Gruppen von Studierenden und MittelschülerInnen vorgelegt. Bild 2 zeigt die vernichtende Reaktion von vierundzwanzig zukünftigen Gymnasiallehrpersonen verschiedener Fächer: Nach dreiminütiger Auseinandersetzung mit dem in Bild 1 wiedergegebenen Beispiel verwarfen sie die Aussage «Der Text (einschliesslich Abbildung) eignet sich gut, um Nichtfachleuten kiar zu machen, wie die Solarzelle funktioniert» äusserst massiv. Der Verriss fiel bei den Studierenden sogar schirfer aus als bei 75 MittelschülerInnen im Alter von 14 bis 20 Jahren. Hatten die Studenten weniger verstanden? Wohl kaum. Vermutlich waren sie aufgrund ihres grösseren Vertrauens in die eigene Lernfähigkeit einfach eher in der Lage, ihren Lernfrust in Ärger und Kritik umzuwandeln.


Bild 2 Vernichtendes Urteil Von 24 Lehramtstudierenden Uber die in Bild 1 wiedergegebene Erklärung. Nach der Lektüre nahmen sie auf einer von «ganz sicher ja» (links) bis «ganz sicher nein» (rechts) reichenden sechsstufigen Skala Stellung zum Satz: «Dieser Lehrtext samt Abbildung eignet sich gut, um die Solarzelle  zu erklären.»

    Studierende und MittelschülerInnen markierten und kommentierten für uns in verschiedenen derartigen Solarzellen-Erklärungen auch genauer die Stellen, wo sie beim lernenden Lesen irritiert oder gar blockiert wurden. Dabei traten zwei Arten von Schwierigkeiten zutage. Die eine betraf Fachausdrücke wie «p-» und «n-leitend», «p/n-Übergang», «Dotieren» usw. Dem allermeisten fehlte das fachliche Vorwissen, um damit etwas anfangen zu können. Die zweite grosse Schwierigkeit betraf die sich als positive Ladungsträger bewegenden Löcher. Hier handelte es sich um einen Konflikt mit dem nichtfachuchen Vorwissen, dass Löcher sozusagen ihrem Wesen nach ortsstabil sind. Die Rede von Löchern, die sich durch einen Kristall bewegen, erscheint daher unsinnig und erschwert es, sich eine anschauliche Vorstellung von den Abläufen zu machen. Damit würgt sie eine zentrale Strategie des aktiven verstehen wollenden Lernens ab [1].

Missverständlich
    Die Standarderklärung legt die Vorstellung nahe, dass im Inneren der Solarzelle zwei verschiedenartige Ströme entspringen und zu entgegengesetzten Rändern fliessen, nämlich ein Elektronenstrom zum einen und ein «Löcherstrom» zum anderen Rand. Und wenn die Elktronen ihre Bewegung in den äusseren Leiter hinein fortsetzen, warum solten das die unverstandenen Löcher auf der anderen Seite nicht auch tun? Diese falsche Vorstellung muss umso plausibler erscheinen, als sie zu einer unter Laien verbreiteten Fehlauffassung des elektrischen Gleichstromes passt (Bild 3). Danach fliessen immer in beiden Verbindungsdrähten elektrische Ladungen bzw. Ladungsträger von der Stromquelle zum Verbraucher, nämlich negative im einen und positive im anderen, um im Verbraucher zusammenzutreffen und dabei eben irgendwie verbraucht zu werden. (Diese Fehlkonzeption ist so häufig, dass sie in der Physikfachdidaktik einen eigenen Namen bekommen hat: «clashing currents» [2].


Bild 3 Die von der Standarderklärung geförderte Fehlauffassung, wonach in beiden Leitungsdrähten alle Ladungsträger ausschliesslich von der Solarzelle zum Verbraucher fliessen.

    Tatsächlich stellten wir im Lernexperiment fest, dass die Standarderklärung aus Bild 1 die Fehlauffassung fördent. Auf einer von «ganz klar ja» bis «ganz klar nein» reichenden Beunteilungsskala nahmen MittelschülerInnen und Studierende einmal vor und einmal nach der Lektüre Stellung zu folgendem Satz: «Wird eine Solarzeile als Stromquelle mit einem Verbraucher verbunden, so fliessen alle Ladungsträger in beiden verbindenden Leitungsdrähten in Richtung Verbraucher.» Die Reaktionen verschoben sich durch die Lektüre markant in Richtung des sachlich falschen Ja-Pols [3].

Es geht auch anschaulicher
    Ginge es denn nicht ohne die so irritierenden, anschauungsfeindlichen und irreführenden wandernden Löcher? Es ginge. Zum Beispiel ungefähr so:
    Durch die Energie des Sonnenlichts werden in der Solarzelle laufend Elektronen aus ihren Plätzen in den Atomen herausgeschlagen. Dank der dabei vom Licht übernommenen Energie sind diese Elektronen nun innerhalb der Zelle frei beweglich, unterliegen aber der Anziehung durch die von ihnen «verlassenen» und dadurch positiv geladenen Atome. Der «Witz» der Solarzelle ist nun, dass man ein direktes Zurückfallen der Elektronen verhindert, sodass sie gewissermassen nur «aussen herum», nämlich nach einem Umweg durch ausseren Leiter und Verbraucher hindurch auf vakante Plätze in den Atomen zurückkehren können. Dieser Umweg wird durch ein elektrisches Feld erzwungen, welches Elektronenbewegungen nur in einer Richtung zulässt. (Dieses Feld hat der Solarzellenhersteller durch eine gezielte Verunreinigung mit Fremdatomen in den Siliziumkristall «eingebaut»). Unterwegs geben die Elektronen ihren Energieüberschuss ab, indem dieser zum Beispiel in einer Glühlampe in Licht umgewandelt wird. Beim Wiedereintritt auf der anderen Seite der Solarzelle erliegen die Elektronen der Anziehung derjenigen Atome, die ein Elektronendefizit, oder wie man auch sagt ein «Loch», aufweisen, und hangeln sich dann gewissermassen von Loch zu Loch in ihr Herkunftsgebiet zurück, wo das grösste Elektronendefizit herrscht. Dort wird das eindringende Sonnenlicht sie irgendwann wieder auf ein höheres Energieniveau heben, freisetzen und auf einen neuen Kreislauf schicken.


Durch die Energie cies Sonnenlichts werden in der Solarzelle laufend Elektronen aus ihren Plätzen in den Atomen herausgeschlagen. Dank der dabei vom Licht übernommenen Energie sind diese Elektronen nun innerhalb der Zelle frei beweglich, unterliegen aber der Anziehung durch die von ihnen «Verlassenen» und dadurch positiv geladenen Atome.

    Die «Löcherwanderung» ist in dieser Version keine Wanderung der Löcher, sondern anschaulicher eine Wanderung der Elektronen von Loch zu Loch. Das ist fachlich völlig in Ordnung. In der Tat ist die ominöse Bewegung der Löcher ja nichts anderes als die gegenläufige Bewegung der Elektronen im so genannten Valenzband, ein Leitungsmechanismus in Halbleitern, bei dem Elektronen auf einem tiefen Energieniveau leicht an Atome gebunden sind und sich deshalb nur sprunghaft von Atom zu Atom bewegen können. Davon ist die freie Bewegung der Elektronen auf dem energiehöheren «Leitungsband» zu unterscheiden, auf welches sie durch Einwirkung eines passenden Lichtquants gehoben werden. Wenn man in dieser Weise nicht zwei Arten von beweglichen Ladungsträgern (Elektronen und «Löcher»), sondern nur Elektronenbewegungen auf zwei verschiedenen Energieniveaus unterscheidet, lässt sich die ganze Rundreise der Elektronen durch Solarzelle und äusseren Stromkreis laienfreundlich als eine Art Geschichte «erzählen». Dieses Modell ist sogar besser mit eiektrischen Phänomenen des Stromikreises kompatibel, indem es die Arbeitsleistung des Stroms, d.h. den Energieverlust der Elektronen im Verbraucher mit beschreiben kann. Hier käme das Standardmodell, das eigentlich nur die Entstehung einer Ausgangsspannung an der Solarzelle plausibel machen will, in Schwierigkeiten.

Leitplanken für eine laienfreunduche Erklärung
    Zusammenfassend drei Empfehlungen dazu, wie man die Solarzelle erklären sollte, um Laien relativ rasch zu einem gewissen «Aha»-Erlebnis bezüglich des Funktionsprinzips der Solarzelle zu führen:
• Nur die Elektronen (und nicht auch die Elektronenfehlstellen) als bewegliche Ladungsträger ins Auge fassen, dafür aber den Blick auf deren ganze Rundreise entlang des Stromkreises ausweiten.
• Das innere elektrische Feld als «zuvor in die Solarzelle eingebaut» voraussetzen. Dessen Hersteilung ist eine eigene Geschichte. Diese im gleichen Durchgang mitzuerzählen, führt zu Verwirrung - wie in vielen Abbildungen in Standarderklärungen, wo Elektronen sich sowohl auf der p-Seite (durch Diffusion) als auch auf der n-Seite (durch Feldwirkung) anhäufen.
• Kein (Fach-) Chinesisch, kein CrashKurs in Physik und Elektrotechnik.
    Bezüglich der Mitvermittlung fachlicher Begrifflichkeit gut hier: Weniger ist mehr! In der Tat führte in einem unserer Lernexperimente (vgl. Aeschbacher, Huber und Stöcklin) eine in diesem Sinne fachlich bescheidene Erklärung nicht nur zu eineim objektiv und subjektiv besseren Verständnis der Solarzelle, sondern ausserdem zu einer Korrektur des falschen Strombegriffs.

Literatur
[1] Aeschbacher U., Huber E., Seiler B.: Vor wandernden Löchern wird gewarnt: Die Solarzelle laienfreundlich erklären.. Praxis der Naturwissenschaften/ Physik in der Schule, 2002,1/51, S.40-45.
[2] Duit R., Treagust D.F.: Learning in Science - From Behaviorism Towards Social Constructivism and Beyond. In B.J. Fraser & K.G.Tobin (eds.): International Handbook of Science Education, Dordrecht: Kluwer Acad. Publ., 1998, S.3-25.
[3] Aeschbacher U., Huber E., Stöcklin M.: Verliert die Solarzelle ihre Elektronen? Wenn Lehrtext und Illustration Lernende in einer Fehlkonzeption bestärken. (Publikation in Vorbereitung)


Bulletin des élevtriciens