Von den Vorgaägen, die sich beim Lesen dieses Artikels in unserem Augenhintergrund abspielen, nehmen wir normalerweise nur das Ergebnis wahr: Wir erkennen einzelne Buchstaben, fügen sie unbewusst zu Wörtern und diese zu Sätzen zusammen. Unser Bewusstsein macht daraus bewertbare Information. Die zugrunde liegende sensorische Information wird von einer Schicht hochsensibler, lichtempfindlicher Nervenzellen (Photorezeptoren) in das neuronale Netzwerk der Netzhaut (Retina) eingespeist, dort verarbeitet und von den Axonen der Ganglienzellen im optischen Nerv ans Gehirn weitergeleitet.
Visuelle Wahrnehmung
Die Photorezeptoren tasten das zweidimensionale
Abbild unserer Umwelt, das durch den optischen Apparat auf den Augenhintergrund
abgebildet wird (Bild 1), ab und wandeln lokale Wellenlängen-
und Intensitätswerte in elektrochemische Signale um. Daraus resultierende
zeitliche Veränderungen der über die Membran der Rezeptorzellen
abfallenden Spannung werden über synaptische Verschaltungen an die
nachgeschalteten Nervenzellen in Form sogenannter graduierter Potentiale
weitergegeben. Schliesslich wird die durch die Netzhaut laufende neuronale
Erregung von den Ausgangsneuronen der Retina, den Ganglienzellen, in Folgen
von schnellen Membranspannungsänderungen, sogenannten Aktionspotentialen
kodiert. Über den Sehnerv Verlässt die nunmehr vorverarbeitete
und verschlüsselte visuelle information das Auge.
Dieser gerichtete Informationsstrom von der Netzhaut ins Gehirn versiegt, wenn die Photorezeptoren krankheitsbedingt degenerieren. Bei rund 600Ì000 Menschen in der EU, die an der erblichen Netzhauterkrankung Retinitis pigmentosa (RP) leiden, verkümmern zunächst die Photorezeptoren und mit fortschreitender Krankheit weitere Schichten der Netzhaut. Zur Ahwehr und Heilung dieses Krankheitsverlaufes, dessen Endstadium die vollständige Erblindung ist, stehen gegenwärtig keine kausalen Therapien zur Verfügung.
Netzhautimplantate
Hoffnung für an RP erblindete Patienten versprechen
Netzhautimplantate, die gegenwärtig von drei amerikanischen [1-4]
und zwei deutschen Gruppen [5-7] entwickelt werden. Obwohl die elektronischen
Implantate sich noch in einem frühen Experimenrtierstadiutn befinden,
erscheint der kinnische Einsatz von Sehprothesen vor dem Hintergrund des
nutzbringenden Einsatzes anderer Neuroimplantate wie zum Beispiel des Cochlear-Implantates
(siehe Artikel von Norbert Dillier ab Seite 37) realistisch.
Ähnlich wie beim Cochlear-Implantat, welches
in der Hörschnecke den Funktionsverlust akustisher Sinneszellen durch
ortsaufgelöste Elektrostimulation des Hörnervs kompensiert, sollen
die Netzhautimplantate die sensorische Funktion von Photorezeptoren durch
electrische Stimulation der Retina ersetzen und so eingeschränktes
Sehen wieder ermöglichen. Hierbei werden zwei unterschiedliche Strategien
verfolgt: Die Stimulationselektroden können entweder in die äussere
Netzhaut anstelle der Photorezeptoren (subretinal) implantiert oder in
Kontakt mit den Ganglienzellen auf die Innenseite der Netzhaut (epiretinal)
gebracht werden (Bild 2). Beiden Ansätzen gemein ist die funktionelle
multifokale Elektrostimulation spezifischer Nerven zellen in teilweise
degenerierten Netzhäuten.
Epiretinaler Ansatz
Dem epiretinalen Ansatz (Bild 2, links) liegt
die Annahme zugrunde, dass sich sinnvolle Wahrnehmungen durch direkte Stimulation
der retinalen Ausgangsneurone, der Ganglienzellen, erzielen lassen.
Die Aufnahme visueller Szenen soll eine sich ausserhalb des Auges befindliche Videokamera übernehmen. Ein nachgeschalteter Signalprozessor [4] beziehungsweise Neuro-Computer oder Retina-Encoder [5] bereitet die zeitlich sich ändernden zweidimensionalen Bildinformationen ganglienzellgerecht auf. Diese Informationen werden dann drahtlos an das Implantat auf der Netzhautoberfläche übertragen. Ein integrierter Decoder sortiert dort die eintreffenden Informationen und gibt sie an den ebenfalls integrierten Stimulator weiter. Dieser gibt über die einzelnen auf einer Mikrokontaktfolie angeordneten Elektroden kurze Strompulse an das anliegende Gewebe ab. Die hierfür notwendige Energie wird ebenfalls drahtlos über eine Laser- oder HF-Strecke übertragen. Das Ziel ist, mit den einzelnen Stimulationskontakten individuelle, möglichst kleine Gruppen von Ganglienzellen adäquat zu stimulieren. Adäquat bedeutet, dass die Ganglienzellaktivität durch die Elektroreize derart moduliert wird, als resultierte sie aus Signalverarbeitungsprozessen innerhalb des neuronalen Netzwerkes der Retina. Die Berechnung der räumlichen und zeitlichen Abfolge der Reizimpulse aus der Bildinformation ist Aufgahe des Neuro-Computers. Ihm kommt in diesem Ansatz die zentrale Rolle zu, visuelle Muster in Folgen von Aktionspotentialen ganzer Ganglienzellpopulationen mittels räumlicher Filter, die Eigenschaften von rezeptiven Feldern haben, zu übersetzen.
Subretinaler Ansatz
Während bei der epiretinalen Sehprothese Bildinformationen
ausserhalb des Auges verarbeitet und dann in die Ganglienzellschicht eingespeist
werden, entfällt beim subretinalen Ansatz (Bild 2, rechts)
die Notwendigkeit einer zusätzlichen technischen Bildverarbeitung.
Die subretinal implantierten Prothesen sollen lediglich die Aufgaben der
Photorezeptoren übernehmen. Hierzu wird zwischen Pigmentepithel und
Netzhaut ein Chip, bestehend aus einem Array (zweidimensionales Gitter)
mit einer Vielzahl lichtsensitiver Fünktionseinheiten, eingesetzt.
Entsprechend den natürlichen Phororezeptoren messen die Lichtsensoren
die lokalen Intensitäten des Abbildes einer visuellen Szene auf der
Retina. Dieses zweidimensionale Intensitätsmuster wird in Stimulationsströme
mit intensitätskorrelierten Amplituden umgewandelt und über die
individuellen Stimulationskontakte der Funktionseinheiten an das anliegende
Nervengewebe der Netzhaut abgegeben. Die für die Generierung der Ströme
notwendige Energie stammt im einfachsten Fall von dem einfallenden visuallen
Licht, das von den als Photoelemente ausgefährten Lichtsensoren in
photovoltaische Ströme umgewandelt wird. Die ortsaufgelöste Elektrostimulation
der äusseren Netzhautschichten soll gewährleisten, dass die nach
Degeneration der Photorezeptoren verbleibende intraretinale Signalverarbeitung
zur Erzeugung eines verwertbaren Seheindruckes aktiviert wird.
Degenerationsverlauf
Der subretinale Ansatz macht nur Sinn, wenn in erkrankten
Netzhäuten auch in fortgeschrittenen Degenerationsstadien intakte
Nervenzellen (Bipolarzellen Horizontalzellen, Amakrinzellen) als Zielzellen
für die Signaleinkopplung und funktionelle Verschaltungen zur nachgeschalteten
intraretinalen Reizverarbeitung sowie Ganglienzellen zur Informationsweiterleitung
erhalten bleiben. Dieser zentralen Fragestellung wurde im Rahmen systematischer
Untersuchungen an Netzhäuten aus Spenderaugen verstorbener Patienten
nachgegangen. In Zusammenarbeit mit der US National Retinitis Pigmentosa
Foundation konnte gezeigt werden, dass selbst in Netzhäuten mit
weit fortgeschrittenem Erkrankungsbild von RP die inneren Zellschichten,
die
die Horizontal-, Bipolar- und Ama-krinzellen enthalten, sowie die innere
synaptische Schicht und die Ganglien-zellschicht vor allem im Bereich der
Netzhautgrube (Fovea) gut erhalten bleiben [6]. Diese Befunde decken
sich mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe um E. de Juan (Baltimore), die
zu 70% erhaltene Zellen in der inneren Körnerschicht und zu 30% erhaltene
Ganglienzellen belegen [8].
Die mit dem Degenerationsverlauf einhergehenden strukturellen Veränderungen der Netzhaut wurden im Tiermodell immunhistochemisch untersucht. Als Tiermodell für degenerierte Netzhäute verwendeten wir sogenannte RCS-Ratten, die rund 70 Tage nach Geburt aufgrund einer erblichen Netzhautdegeneration, deren Verlauf dem von Retinitis pigmentosa ähnelt, erblinden. Damit war es möglich, den gesamten Degenerationsverlauf vom Beginn der Rezeptordegeneration bi hin zur vollständigen Desintegration der Netzhaut in einem Zeitraum von 600 Tagen zu untersuchen. Parallel durchgeführte elektrophysiologische Funktionsprüfungen in definierten Degenerationsstadien ergaben, dass auch nach massiver degenerationsbedingter Umorganisation der Zellschichten randomisierte Ganglienzellaktivität vorbanden ist, die sich durch elektrische Stimulation beeinflussen lässt.
Elektrische Netzhaut-stimulation
Aufgrund der trotz Degeneration
in grosser Anzahl verbleibenden Netzhautzellen scheint die elektrische
Stimulation des retinalen Netzwerkes zunächst einmal grundsätzlich
möglich zu sein. Allerdings stellte sich uns die Frage, ob auch
eineortsaufgelöste Stimulation des degenerierten
Netzwerkes durch subretinal applizierte räumliche Elektrostimulationsmuster
möglich ist und wenn ja, mit welchen Reizstärken.
Für die experimentelle funktionelle elektrische Netzhautstimulation entwikkelten wir eine in-vitro -Methode, die den subretinalen Implantationsansatz imitiert. Hierbei werden explantierte Netzhäute mit der Photorezeptorseite auf planare Mikroelektroden-Arrays (MLA), welche am Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) in Reutlingen entwickelt wurden [9,10], aufgebracht. Durch selektive Beschaltung von bis zu 60 planaren Elektroden kann das Präparat mit räumlichen Ladungsinjektionsmustern stimuliert werden. Je nach verwendetem Arraytyp beträgt der Elektrodenabstand 30, 100 oder 200 mm. Der Durchmesser der Elektroden von 10 mm liegt im Bereich der Durchmesser der Zellkörper von Ganglienzellen.
Diese in Bild 3a skizzierte
Methode hat den Vorteil, dass sich an den Netzhautpräparaten in überschaubaren
Zeiträumen eine Vielzahl von Fragestellungen untersuchen lassen, die
in
vivo mit erheblichem Aufwand verbunden wären. Sie
erlaubt die effiziente Charakterisierung von Parametern der Elektrostimulation
von intakten und degenerierten Netzhäuten. Insbesondere untersuchten
wir den räumlichen Einflussbereich lokalisierter elektrischer Reize
auf einzelne Ganglienzellen. Hierzu variierten wir die Distanz zwischen
den Orten der Reizmusterapplikation und der abgeleiteten Ganglienzelle
sowie der Ausdehnung der räumlichen Reizmuster.
Bei der in Bild 3b gezeigten
Stimulation einer Rattennetzhaut mit degenerierten Photorezeptoren bewirkten
konzentrische Reizmuster, deren Durchmesser sich um 60 mm
unterschieden, in unmittelbarer Umgebung einer Ganglienzelle deutlich unterscheidbare
Aktivitätsmuster. Unsere Untersuchungen zeigen, dass sowohl bei intakten
Netzhäuten von Hühnchen als auch bei degenerierten Netzhäuten
von RCS-Ratten eine ortsaufgelöste Stimulation des Netzwerkes möglich
ist. Die Reizschwellen für Reize innerhalb des Einflussbereiches,
bei der eine Modulation der Ganglienzellaktivität erkennbar ist, liegen
bei rund 500 mC pro Elektrode. Der Arbeitsbereich
oberhalb der Schwellwerte bis zur Sättigung der evozierten Ganglienzellaktivität
umfasst ein bis zwei Grössernordnungen.
Da die Ganglienzellaktivität
die Eingangssignale für das zentrale visuelle System generiert, sind
wir aufgrund dieser grundlegenden Ergebnisse der Überzeugung, dass
durch zweidimensionale Elektrostimulationsmuster räumlich geordnete
visuelle Wahrnehmungen ausgelöst werden können. Dass die Elektrostimulation
erkrankter Netzhäute tatsächlich zu visuellen Wahrnehmungen führt,
weiss man aus Versuchen mit blinden Freiwilligen, die punktuelle Stimulationen
der Netzhaut als lokalisierte Licht-punkte, sogenannte Phosphene, wahrnahmen
[3].
Subretinale Mikrophoto-dioden
Histologisch und elektrophysiologisch
sind die Voraussetzungen für die funktionelle Elektrostimulation des
nach Degeneration verbleibenden retinalen Netzwerkes unserer Meinung nach
gegeben. Der erstmalige Versuch, entsprechende implantierbare Netzhautprothesen
zur subretinalen Elektrostimulation zu realisieren, ist in der Patentschrift
von Tassicker aus dem Jahre 1956 dokumentiert [11]. Die Idee, die
geforderte Ortsauflösung durch ein Array von photovoltaischen Mikroelementen
zu erreichen, wurde von Chow 1991, ebenfalls als Patent, vorgestellt [12]
und im Tierexperiment getestet [13]. Diese Arbeiten bildeten den
Startpunkt unseres Konsortiums, das seit 1995 den subretinalen Ansatz weiterentwickelt.
Unserem Verbund, der vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft,
Forschung und Technik (BMBF) finanziert wird, gehören das Institut
für Mikroelektronik in Stuttgart (IMS), das Institut für Physikaliscbe
Elektronik (IPE) an der Universität Stuttgart, das Naturwissenschtliche
und Medizinische Institut (NMI) in Reutlingen sowie die Universitätsaugenkliniken
in Regensburg (UAR) und in Tübingen (UAK) an. Geleitet wird das Projekt
von E. Zrenner, Ärztlicher Direktor der Universitätsaugenklinik
Tübingen.
Unsere ersten, vom IMS gefertigten Implantat-Prototypen
aus kristallinem Silizium enthalten schachbrettartig angeordnete Mikrophotodioden
mit einer Grösse von 20/20 mm. Diese Packungsdichte
ist vergleichbar mit der der Photorezeptoren in peripheren Netzhautarealen.
Jede Mikrophotodiode ist mit je einer Metallelektrode versehen, über
welche der erzeugte Photostrom an die kontaktierten Netzhautstellen abgegeben
wird. Für die Implantation werden die Mikrophotodioden-Arrays (MPDA)
am NMI in einem aufwendigen Verfahren konfektioniert, d.h. aus dem Wafer
herausgelöst, zerkleinert, gedünnt und geschliffen. Abschliessend
erhalten die so erbaltenen Siliziumscheibchen von 3 mm Durchmesser und
50 mm Dieke (Bild 4) eine als Gegenelektrode
zu den Stimulationselektroden wirkende Rückseitenmetallisierung. Implantate
dieser Grösse bedecken eine Retinafläche, auf die zum Beispiel
ein sich einen Meter vor dem Auge befindliches Gesicht abgebildet wird.
Alternativ zu den monopolaren Dioden mit gemeinsamer Rückseitenelektrode entwickelten wir bipolare Dioden mit individueller vorderseitiger Gegenelektrode. Diese Anordnung hat den Vorteil der lokalen Begrenzung der Stromausbreitung im Gewebe, wodurch im Bereich zwischen den Elektroden stärkere Spannungsabfälle erzeugt werden können als in der monopolaren Anordnung. Um die lokalen Stimulationsstärken noch weiter zu erhöhen, wurden auch Arrays mit Diodengrössen von 100/100 mm und 200/200 mm gefertigt. Dies erkauft man sich jedoch mit einer reduzierten Ortsauflösung.
Die subretinale Implantation eines ausgedehnten flachen Festkörpers wirkt zumindest lokal wie eine Diffusionsbarriere zwischen Pigmentepithel und neuronaler Netzhaut. Um die Gefahr einer durch die Unterbrechung des Austausches von Sauerstoff und Nährstoften hervorgerufenen Netzhautschädigung zu minimieren, hahen wir porforierte Chips hergestellt, die infolge regelmässig angeordneter Löcher den Flüssigkeitsaustausch zwischen Vorder- und Rückseite erlauben.
Zur Herstellung extrem dünner, nur wenige Mikrometer dicker Substrate verfolgen wir eine zweite TechnologieLinie. Am IPE wird an der Entwicklung spezieller Niedertemperatur- und Ätzprozesse gearbeitet, um Silizium auf Foliensubstraten abzuscheiden und zu strukturieren. Damit ist es prinzipiell möglich, flexible Substrate mit einfachen und gestapelten Photoelementen aus amorphem Silizium (a-Si:H) herzustellen. Solche flexiblen Substrate liessen sich der Netzhautkrümmung besser anpassen, was bei grosseren Implantaten vorteilhaft wäre.
Interface Chip/Retina
Die als Siliziumdioden mit
p-i-n-Dotierfolge ausgeführten Photoelemente der monopolaren Chips
geben bei Lichteinfall einen von der Vorderseite durch die angrenzende
Netzhaut hindurch zur Rückseite des Chips fliessenden
positiven Strom ab. Alternative Chipausführungen arbeiten mit n-i-p-Schichtfolge.
Die metallenen Stimulationselektroden an der Schnittstelle Chip/Gewebe
(Bild 5a) bewirken aufgrund der sich an der Grenzfläche Metall/Gewebeflüssigkeit
ausbildenden elektrischen, kapazitiv wirksamen Doppelschicht (Helmholtz-Doppelschicht),
dass die Photoelemente mit kapazitiver Last betrieben werden. Für
die Leistungsabgabe ist zusätlich der ohmsche Widerstand des angrenzenden
Gewebes relevant.
Die Anordnung lässt sich vereinfacht durch das in Bild 5b gezeigte elektrische Ersatzschaltbild darstellen. Es beinhaltet die zur pn-Diode parallel liegende Stromquelle für den Photostrom Iph, die Kapazität CHH des metallenen Stimulationskontaktes und den ohmschen Lastwiderstand der sich aus dem Widerstand RI für den Stromübergang von den Mikroelektroden in das unmittelbar angrenzende Gewebe sowie dem sich anschliessenden Widerstand RG der Stromhahn bis zur Gegenelektrode auf der Rückseite des Chips zusammensetzt. Der Übergangswiderstand RI nimmt mit kleiner werdenden Elektroden zu und hängt wie der Gewebewiderstand RG von der Geometrie und vom spezifischen Gewebewiderstand ab. Das Erzatzschaltbild enthält ferner die Kapazität CRS der Rückseitenelektrode. Vernachlässigt wurden prinzipiell zur Diode parallel liegende Widerstände sowie die Widerstände der Bahngebiete des Photoelementes. Nicht berücksichtigt wurde ferner ein sich erst bei grösseren als den hier auftretenden Spannungen bemerkbar machender nichtkapazitiver Ladungstransfer durch die elektrische Doppelschicht.
Für die Effektivität der Elektrostimulation ist einzig und allein von Bedeutung, wie stark einzelne Mernbranbereiche der Netzhautzellen aufgrund des Stromflusses durch den Extrazellulärraum polarisiert werden. Im Ersatzschaltbild wird dies durch den Zeitverlauf des dadurch hervorgerufenen Spannungsabfalls UG(t) am Gewebewiderstand RG berücksichtigt. Der Zeitverlauf des Stromes (Bild 5c) lässt sich anhand des Ersatzschaltbildes und der statischen Kennlinien eines pn-Überganges unter Einwirkung von Strahlungsleistung beschreiben.
Ein Lichteinfall mit raschem Intensitätsanstieg bewirkt, dass der Photostrom die Grenzflächenkapazität CHHauflädt. Dies hat einen kapazitiven Gewebestrom zur Folge, dessen anfängliche Maximalamplitude (Punkt a in Bild 5c) von den Lastwiderständen RI und RG sowie dem intensitätsabhängigen Kennlinienverlauf abhängt. Die maximale Ladung des Kondensators ist erreicht, wenn die über die Diode abfallende Spannung die intensitätsabhängige Leerlaufspannung erreicht. Bei sich nicht ändernder Lichtintensität fliesst dann kein Strom mehr durch das Gewebe (Punkt b in Bild 5e). In diesem reizunwirksamen Zustand fällt die gesamte Spannung an den Helmholtzkapazitäten CHH und CRSab. Die Zeitkonstante des exponentiellen Stromahfalls hängt von den Lastwiderständen und der Kapazität CHH, ab.
Aus diesen vereinfachten Betrachtungen ergibt sich
unter der Forderung nach maximalem Ladungsübertrag ins Gewebe mit
pulsartigem Zeitverlauf, dass 1. der Widerstand RIzur
Erzielung grosser Maximalströme klein gehalten werden muss und dass
2. die Elektrodenkapazität CHH zur Vergrösserung
der Zeitkonstanten möglichst gross sein muss. Beides erreicht man
durch Vergrösserung der Elektrodenfläche und geeignete Profilierung
des Elektrodenquerschnitts. Da der Vergrösserung der geometrischen
Elektrodenfläche aufgrund der erwünschten Ortsanflösung
Grenzen gesetzt sind, muss durch entsprechende Materialausswahl und geeignete
Prozesstechniken die Oberfläche dreidimensional gestaltet werden.
Dies wird z.B. erreicht durch speziell gesputtertes* Titannitrid, welches
eine kolumnare (säulenartige) Struktur aufweist (Bild 6). Durch
die damit verbundene enorme Vergrösserung der realen Oberfläche
werden spezifische Kapazitäten bis zu 2 mF/cm2 erreicht,
im Vergleich zu 20 mF/cm2
einer glatten Platinoberfläche.
Bild 6 Querschnitt durch eine TiN-Elektrode
Die kolumnare Oberflächenmorphologie führt zu grossen Grenzflächenkapazitäten. |
Implantationstechniken
Seit Sommer 1996 werden an der Universitätsaugenklinik
Regensburg MPDAs in Augen von Kaninchen implantiert. Ähnlich wie bei
herkömmlichen Netzhautoperationen wird der Glaskörper mit einem
Vitrektomie-Gerät
entfernt. Danach wird mit einer scharfen Kanüle ein kleiner Schlitz
in die Netzhaut eingeritzt (Retinotomie), durch den die Implantate von
vorne in den Zwischenraum zwischen Pigmentepithel und Netzhaut eingeschoben
werden (ab-intenio-Implantation, Bild 7a).
In-vivo-Diagnostik
Nach der Implantation werden die Tiere an den Augenkliniken
in Regenshurg (Schwein) und in Tubingen (Kaninchen, Ratte) einer eingehenden
elektrophysiologischen Funktionsprüfung unterzogen. Hierfür mussten
augenärztliche Routinemethoden der elektrophysiologischen Netzhautdiagnostik
an die verschiedenen Tierspezies angepasst werden. Mit unterschiedlichen
Methoden der Elektroretinographie (ERG) (siehe Artikel von Günter
Niemeyer ab Seite 34) und der Ableitung visuell evozierter kortikaler Potentiale
(VEP) kann nun untersucht werden, ob die Funktion gesunder Netzhaute von
Versuchstieren durch die Implantation und den längeren subretinalen
Verbleib des Implantates beeinträchtigt wird. Bei Kaninchen, Ratten
und Schweinen waren damit auch nach mehr als einem Jahr nach Implantation
ketne schwerwiegenden Beeintrachtigungen messbar.
Das Hauptziel der aufwendigen elektrophysiologischen
Funktionsdiagnostik ist jedoch der Nachweis retinaler Aktivität, welche
durch das Implantat ausgelöst wurde. In Bild 8 ist ein sogenanntes
multifokales Elektroretinogramm zu sehen, welches am implantierten Auge
einer Ratte abgeleitet wurde. Durch ortsaufgelöste Lichtstimulation
mit Lichtwellenlängen, die zwar für die Photorezeptoren der Ratte,
nicht jedoch für die Photoelemente unsichtbar sind, lásst sich
das Implantat aufgrund der bei Beleuchtung generierten und als transiente
Spannungsänderungen messbaren Ströme lokalisieren (Bild 8,
unten).
Bislang konnte jedoch kein zweifelsfreier elektroretinographischer
Nachweis von Netzhautaktivität die durch subretinale photovoltaische
Ströme ausgelöst wurde, erbracht werden. Wir führen dies
darauf zurück, dass die von den Mikrophotoelementen generierten transienten
Gewebeströme mit Spitzenwerten von einigen hundert Nanoampere nur
unterschwellige Zellpolarisationen hervorrufen. Die Frage, ob grössere
Dioden bei erhöhten Beleuchtungsstärken überschwellge Reizströme
generieren, ist Gegenstand laufender Untersuchungen.
Bioverträglichkeit und Biostabilität
Ein zentrales Ziel unseres Konsortiums war nach
der Etablierung der Implantationstechniken die Untersuchung der Bioverträglichkeit
und der Biostabilität. Hierzu werden die implantierten Tiere elektrophysiologisch
untersucht und die Augen nach einer entsprechenden Verweildauer histologisch
aufgearbeitet. Zurzeit liegen histologische Daten von Kaninchen mit Verweildauern
bis zu acht Monaten, von Schweinen bis zu 14 Monaten und von Ratten bis
zu 20 Monaten vor.
Die Implantate zeigten durchweg eine gute Ortsstabilität.
Bei Ratten und Schweinen, deren Netzhaut wie beim Menschen von Blutgefässen
durchzogen ist (vaskularisierte Netzhaut), bleibt das neuronale Gewebe
der inneren Netzhaut im vom Implantat abgedeckten Bereich weitgehend intakt.
Hingegen fanden wir bei Kaninchen, die eine avaskuläre Netzhaut haben,
in den Retinaabschnitten, die unterhalb des Implantates lagen, starke atrophe
Prozesse. Wir führen dies auf eine Unterbrechung der Gewebeversorgung
mit Sauerstoft und Nährstoffen durch die als Diffusionsbarriere zwischen
Choroid und Netzhaut wirkenden implantierten MPDAs zurück. Von den
oben erwähnten perforierten Chips erhoffen wir uns eine Verbesserung
dieser Situation beim Kaninchen.
Während das Gewebe die Chips anscheinend gut
toleriert, scheint dies umgekehrt nicht der Fall zu sein. Überraschenderweise
stellten wir bei MPDAs, die über 10 Monate hinweg implantiert waren,
eine ausgeprägte Schädigung der passivierenden Schutzschicht
aus Siliziumdioxid und darunterliegender Siliziumschiehten fest (Bild
9). Die Stimulationselektroden und die Chipfunktion waren nicht bzw.
nur schwach beeinträchtigt. Chips, die in Salzlösung unter dauernder
gepulster Beleuchtung über 21 Monate hinweg getestet wurden, zeigten
eine signifikant kleinere Schädigung. Dies deutet darauf hin, dass
die Umgebung im Auge chemisch weitaus aggressiver ist als der fúr
die in-vitro-Tests gewählte Elektrolyt und somit deutlich
höhere Anforderungen an die LangzeitBiostabilität der Implantatmaterialien
stellt.
Bild 9 Oberfläche eines MPDA nach
10monatiger Implantation im Kaninchenauge
Deutlich sind Löcher in der Schutzschicht aus SiO2 und im darunterliegenden Si sichtbar. |
Ausblick
In den zurückliegenden drei Jahren bearbeiteten
wir zentrale Fragestellungen der Entwicklung einer subretinal implantierbaren,
funktionsfähigen und langzeitstabilen Netzhautprothese. Wir konnten
Teilaspekte wie die Bioverträglichkeit von Implantatmaterialien und
die Entwicklung schonender Implantationstechniken erfolgreich bearbeiten.
Auf der Suche nach adäquaten biophysikalischen Parametern für
die funktionelle elektrische Stimulation degenerierter Netzhaute sind wir
ein grosses Stück vorangekommen.
Trotz der ungelösten Probleme von im Bereich
der Biostabilität verwendeten Materialien, welche die gesamte Neurotechnologie
betreffen, sind wir mehr denn je davon überzeugt, dass das subretinale
Konzept einer Sehprothese prinzipiell realisierbar ist. Den Ansatz, die
Netzhaut subretinal mit kleinen, von passiven MPDAs generierten Strömen
zu stimulieren. müssen wir jedoch in Frage stellen. Zu gross ist die
Lücke zwischen den in vitro und vor kurzern auch in vivo
gefundenen
Schwellwerten und Arbeitsbereichen auf der einen und den mit den Mikrosolarzellen
maximal generierbaren Stimulationsströmen auf der anderen Seite.
Die nächste Generation von Implantaten, an
deren Konzeption wir gegenwärtig arbeiten wird
mit zusätzlich eingekoppelter Stimulationsenergie arbeiten. An dem
eingangs geschilderten Prinzip, das Abbildungsvermögen des optischen
Apparates des Auges und die nach Degeneration verbleibenden neuronalen
Verschaltungen für die Abbildung visueller Szenen und Verarbeitung
elektrischer Reize zu nutzen, wird sich dadurch jedoch nichts ändern.
Bis ein funktionsfähiges Implantat für Patienten zur Verfügung
steht, werden jedoch noch einige Jahre vergeben. Ein aktuelles Szenario
mit otptimierten Bedingungen geht von einem Forschungs - und Entwicklungsbedarf
von noch mindestens vier Jahren aus, bis an erste ethish vertretbare subretinale
Implantationen bei sich freiwillig zur Verfüggung stellenden Blinden
zu denken ist. Eine hoffnungsvolle Vision an der Schwelle zum 21. Jahrhundert.